Glashüttenbrache – Chance für
alternative Wohnungspolitik

Industrie, was vom Abriss übrig blieb.
Bei der Abbildung des Was­ser­turms war die Rhei­nische Post nicht auf dem neusten Stand, denn der «Sockel» des Was­ser­turms, die ehe­malige Kar­to­na­gen­fa­bri­kation, steht nur noch in Bruchstücken.

Glashüttenbrache als neue Alternative in der Wohnungspolitik

CDU, SPD und FDP: Retter der Kapitalinteressen

Im Frühjahr und Sommer 2005, als die Ger­res­heimer Glas­hütte vor der Zer­schlagung durch den Welt­konzern Owens Illinois (O‑I) aus Per­rysburg (US-Bun­des­stand Ohio) stand, wurden am Tor zur Hütte Funken von Klas­sen­kampf sichtbar. An den Glas­wannen und Glas­ma­schinen hatten die hoch­spe­zia­li­sierten Glas­macher den Betrieb zum größten Fla­schen­pro­du­zenten der Welt hoch­ge­blasen. Die Beleg­schaft war hoch­gradig orga­ni­siert. In der IG Chemie.

Hoch­gradig orga­ni­siert waren auch die Kapi­tal­in­ter­essen. Bei den Aktio­närs­ver­samm­lungen in der Düs­sel­dorfer Messe wurden Vor­stand und Auf­sichtsrat nahezu regel­mäßig wegen der «Ergeb­nisse» gefeiert. Nur ab und an kri­tische Anmer­kungen von der Ver­ei­nigung der Klein­ak­tionäre, aller­dings ohne das Gesamt­system in Frage zu stellen.

Nur einmal gab es schroffe Ablehnung. Die DKP hatte für Peanuts ein paar Aktien gekauft, nicht um Aktionär wegen einer erwar­teten Divi­dende zu werden, sondern um über­haupt Zugang zur Aktio­närs­ver­sammlung zu bekommen. Aktionäre und Geschäfts­leitung tagten ja nicht öffentlich. In die Halle durfte nur, wer sich als Aktionär aus­weisen konnte. Immer dabei: Security und kleinste Taschen mit kleinen Give aways für die Kleins­tak­tionäre. Sie durften sich umworben fühlen. Zustimmung erreicht der Welt­konzern wohl nicht nur durch die stei­genden Kurven auf dem Bör­sen­ba­ro­meter. Da mag auch ein Kugel­schreiber mit Fir­menlogo oder ein Brief­block, eben­falls mit dem Auf­druck des Fir­men­si­gnets, iden­ti­täts­stiftend wirken.

Divi­dende, Geschenke und die Ideo­logie von «Familie Ger­resheim», bei der die Kleinen bekanntlich mit den Großen zusammen in einem Boot sitzen dürfen, brachten bei der Ent­lastung des Vor­standes Ergeb­nisse, die stets Richtung 100 Prozent gingen. Umge­kehrt stieß ein Antrag der DKP auf nahezu 100prozentige Ablehnung. Gefordert war, den Vor­stand nicht zu ent­lasten, weil der sich geweigert hatte, die Zwangs­ar­beiter aus der Zeit des 2. Welt­krieges zu ent­schä­digen. Die Gewinne hätten diese Peanuts aus­ge­halten. Bei anderen Groß­kon­zernen ging das ja auch. In der Mes­se­halle flaute der Wind nicht ab: Kein Geld für Zwangsarbeiter!

Dabei hätten sich die Herren Aktionäre wenigstens eine Ima­gi­nation von den Zwangs­ar­beitern ver­schaffen können. Das «Rus­sen­lager» lag genau gegenüber vom heu­tigen BAUHAUS, dort wo «Nach den Mau­res­köthen» von der Torf­bruch­straße abzweigt. Ein anderes Bild wäre auch möglich: das sowje­tische Grä­berfeld für 450 Sowjets im Ger­res­heimer Wald­friedhof. Oder die 1.500 Toten auf dem «Ehren­friedhof» an der Blan­ckertz­straße. Aber es wurde in der Mes­se­halle wie später vor dem Tor der Hütte an der Heye­straße bestätigt: Der Kapi­ta­lismus geht über Leichen

Demonstrierende, Transparent: «Kapitalismus geht über Leichen!...».
Noch vor Beginn der Abbruch­ar­beiten hatte die DKP mit ver­sierten Freunden aus der Hütte ein rie­siges Trans­parent in luf­tiger Höge zwi­schen den Gemen­ge­türmen aufgehängt.

O‑I konnte das Schicksal der Glas­macher am Arsch vorbei gehen, wie damals ein Betrof­fener voller Wut fest­stellte. Der Konzern pro­du­ziert ohnehin jede zweite Glas­flasche auf der Welt. Was kratzt da Ger­resheim, arbeitslose Glas­macher, ver­ar­mende Familien, Jugend­liche ohne Aus­bil­dungs­platz. Und das vor dem Hin­ter­grund, dass in Ger­resheim keine roten Zahlen notiert wurden. Es gab Gewinne. Die waren aber wohl nicht hoch genug.

O‑I hatte bei diesem Ansatz von Klas­sen­kampf nicht nur divi­den­de­hei­schende Cla­queure , sondern auch Helfer. Als Ver­treter des Betriebs­rates, Mit­glieder der Initiative «Rettet die Glas­hütte», dar­unter die DKP, und viele Kol­legen ins Düs­sel­dorfer Rathaus ein­drangen, um dem dama­ligen Ober­bür­ger­meister Joachim Erwin (CDU) Pro­test­un­ter­schriften mit der For­derung zu über­reichen, er solle soli­da­risch für die Glas­macher aktiv werden, da hatte er wohl einen aus der DKP erkannt. Er warnte außer­or­dentlich scharf, die Kol­legen sollten nicht den «Rat­ten­fängern»(!) folgen. Das sei nicht gut für weitere Ver­hand­lungen mit O‑I. In Ger­resheim hat er sich den Kol­le­ginnen und Kol­legen nie in einer Dis­kussion gestellt. Die geschmei­digen Gespräche über die Sicherung von Kapi­tal­in­ter­essen bedürfen der Ver­schwie­genheit. Auch aus der SPD und der IG Chemie kamen Hin­weise, man solle keine Illu­sionen ver­breiten. Kro­ko­dils­tränen im Ger­res­heimer Rathaus von CDU, FDP und SPD. Par­la­men­ta­ri­scher Auf­stand geht anders. Fazit vor zwölf Jahren: Einem Welt­konzern pisst man nicht auf die Schuhe.

Wie sind die Ger­res­heimer doch ver­albert worden. Die Stadt Düs­seldorf war wenigstens Mit­wisser, als die Indus­trie­brache neuen Kapi­tal­in­ter­essen dienstbar gemacht werden sollte: Die DKP hatte gefordert, wenigstens alter­native Pro­duktion zu über­prüfen, um Arbeits­plätze zu sichern. Glas­fa­ser­kabel wurden weltweit gefragt. Woh­nungsbau bringt bei stei­gender Woh­nungsnot aller­dings den höchsten Profit mit stei­gender Tendenz. Auch da gibt es wie bei «Monopoly» ver­schiedene Stra­tegien: Hoch­preisige Angebote oder Ver­dichtung mit mehr Wohn­ein­heiten auf gleich­großer Fläche. Und das alles ver­packt in scheinhaft demo­kra­ti­scher Transparenz.

Käufer der 200.000 qm war die Patrizia AG aus Augsburg, die sich seit 30 Jahren im insti­tu­tio­nellen Immo­bilien-Investment enga­giert. Die rest­lichen 100.000 qm gingen an die Stadt Düs­seldorf. Dieses letzte Drittel liegt, wenn man drauf­schaut, rechts vom Trans­for­ma­to­renhaus an «Mau­res­köthen». Zwi­schen­zeitlich sind auch hier die rest­lichen Hallen abge­rissen worden.

Ende Juni platzte nun die Blase. Patrizia hört auf. Alles hat nicht funk­tio­niert: Die Arbeiten an Straßen, Wegen, Anlagen sollten 2015 beginnen. Wenn man durch die Fenster im Bauzaun blickt, stellt man fest: Nichts davon ist fertig. 2016 sollte mit den Bau­ar­beiten für 1400 Wohn­ein­heiten begonnen werden. Keine einzige Wohn­einheit ist fertig. Für das gesamte Projekt wird mit einer Inves­ti­ti­ons­summe von einer Mil­liarde Euro gerechnet.

Diese Mil­liarde sollte, so ist das im Kapi­ta­lismus, neues Geld «machen». Das geht aber nur, wenn das Geld auch «arbeiten» kann. Da gab es über Jahre ein paar Pro­bleme. Ein Problem, das ver­mutlich von Patrizia falsch ein­ge­schätzt wurde, ist der Bau­grund. Wohl kaum ein Bau­grund­stück ist in Düs­seldorf so stark kon­ta­mi­niert wie der Boden der Glas­hütte. Nun wird seit Monaten «saniert». Sand­berge werden aus­ge­hoben und von A nach B ver­lagert. Toxische Anteile werden abtrans­por­tiert. Das kostet. Das dauert.

Auch die «Spiel­wiesen der Demo­kratie», die Werk­statt­ver­fahren, haben ver­zögert, haben gekostet. Da wurden renom­mierte Archi­tek­tur­büros ein­ge­laden, die ihre Vor­stel­lungen coram publico vor­tragen und erläutern durften. Die Modelle sahen so schön aus. Die Pläne waren so bunt. Einer wie der andere. Alle Besucher durften Vor­schläge machen und sich eine kurze Weile freuen.

Gleich beim ersten Werk­statt­ver­fahren wurde aber auch deutlich, dass es nicht nur um Bauen geht. Es ging auch darum, den Verkehr auto­kom­pa­tibel zu halten. Bau­de­zernent Dr. Gregor Bonin wurde in der Kantine der Glas­hütte zur leisen, aber bestim­menden Flüs­tertüte seines Herrn, OB Erwin. Er sagte den Archi­tekten, dass die­je­nigen von ihnen, die in ihrer Planung nicht die von Erwin gewünschte «Stadt­au­tobahn», par­allel zur Bun­des­bahn­strecke, berück­sich­tigen würden, gleich nach Hause gehen könnten. Erwins con­ditio sine qua non wurde unter seinem Nach­folger Elbers langsam zur Nullnummer.

Protestierende mit Fahnen, Transparenten, Plakat: «OB Erwin, dieser Wicht, lässt uns im Stich».
Gewal­tiger Protest vor der Glashütte.

Für die Strecke der Stra­ßenbahn von der Innen­stadt zum Ger­res­heimer Bahnhof wurde der Tras­sen­verlauf mehrfach ver­zö­gernd und kon­trovers beraten. Dieser Vorgang soll ein Jahr an Zeit gekostet haben. Und Geld.

Über die Preise und die Mieten für die Woh­nungen gab es keine Modell­rech­nungen und keine Farb­pro­spekte. Die DKP for­derte «bezahl­bares Wohnen». Diese For­derung wurde wohl nicht einmal in die «Wunsch­liste» auf­ge­nommen. Stimmt nicht ganz. Nied­riger preisige Woh­nungs­blocks wurden zwar in die Planung auf­ge­nommen, aber natürlich zu dem Preis, dass ihre zukünf­tigen Bewohner direkt an der Bahn­linie wohnen sollten.

«Watt nu?», wie die Hötter in Anlehnung an das Platt in Unter­ger­resheim fragen könnten.

Patrizia möchte ganz sys­tem­im­manent bleiben und ver­kaufen. Gesucht wird ein Investor, der über­nimmt und so stark sein muss, dass er die bis­he­rigen Ver­luste, die nicht ver­öf­fent­licht wurden, stemmen kann. Gut so, sagt CDU-Ratsherr Andreas Hartnigk (CDU) in der RP. Das würde sich schon rechnen, meint er. Denn die Bau­preise würden ja steigen. Über die neuen Mit­preise sagt er nichts. Patrizia verwies auf das Düs­sel­dorfer »Hand­lungs­konzept Wohnen», das par­tielle Miet­sen­kungen ermöglicht.

Auch Martin Vol­kenrath (SPD) geht davon aus, dass die Dinge ihren Lauf nehmen, wenn denn ein neuer Eigen­tümer gefunden worden sei. Dass viel­leicht die Stadt Düs­seldorf auf gemein­nüt­ziger Basis ins Geschäft ein­steigen könnte, hört man von dem Sozi­al­de­mo­kraten nicht.

Ein neuer Investor könne neue For­de­rungen stellen. Da müsse man fle­xibel reagieren, sagt Ex-Bür­ger­meis­terin Marie-Agnes-Strack-Zim­mermann (FDP). Im Unter­schied zu SPD und CDU bringt sie als Stichwort die städ­tische IDR (Industrie-Terrain Düs­seldorf-Reisholz) als mög­liche Käu­ferin ins Gespräch, sieht die Gesell­schaft aber über­fordert. Die Grünen sind da schon opti­mis­ti­scher, wenn sie auch schon einen Wei­ter­verkauf im Auge haben.

Nach Auf­fassung der Ger­res­heimer DKP hat die Stadt jetzt die ein­malige Chance ein­zu­steigen und damit einen Mei­len­stein für «Mehr Gerech­tigkeit!» zu setzen: Die Mieten könnten unter städ­ti­scher Regie so bestimmt werden, dass die Miet­rechnung wirklich für alle bezahlbar wäre, und die Woh­nungen wären aus dem kapi­ta­lis­ti­schen Ver­wer­tungs­system her­aus­ge­brochen. Und Ver­si­che­rungen, Staats­fonds und Spar­kassen müssten ihre Kon­takte zu Patrizia neu justieren.

Text: Uwe Koopmann
Fotos: Bettina Ohnesorge