Irak Proteste
UZ-Redakteur Manfred Idler im Gespräch mit Rachid Ghewilieb, Vertreter der Irakischen Kommunistischen Partei in Deutschland.
Anfang Oktober haben im Irak Proteste gegen die Regierung begonnen. 200 Zivilisten sind bisher dabei ums Leben gekommen, ein am Dienstag veröffentlichter Bericht einer Untersuchungskommission spricht von exzessiver Gewalt durch irakische Sicherehitskräfte gegen Demonstranten. Zudem bestätigte der Bericht den Einsatz von Scharfschützen in der irakischen Hauptstadt Bagdad.
UZ sprach mit Rashid Ghewielib über die Hintergründe der Proteste.
UZ: Im Irak stehen die Menschen seit Wochen auf gegen die herrschenden Verhältnisse. Durch die brutale Reaktion der Polizei hat es schon viele Todesopfer gegeben. Die Proteste halten aber auch nach mehreren Wochen noch an. Was sind die Ursachen für die Wut der Demonstranten?
Rachid Ghewilieb: Die Gründe sind dieselben, die schon bei den für die Massendemonstrationen und Streiks in den Jahren 2011 und 2015 entscheidend waren: Korruption, Mangel an Arbeitsplätzen und schlechte Versorgungslage.
Und der Aufstand findet nicht nur in Bagdad statt, sondern er erfasst das ganze Land. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied. 2011 und 2015 waren die Proteste politisch organisiert, die Kommunistische Partei hat da eine wichtige Rolle gespielt. Das ist dieses Mal anders. Die Menschen gehen spontan auf die Straße.
UZ: Es steht keine organisierte Kraft hinter den Demonstrationen?
Rachid Ghewilieb: Keine politische Partei des Irak kann für sich in Anspruch nehmen, für diesen Aufstand verantwortlich zu sein. Der Regierungswechsel vor einem Jahr hat alle Hoffnungen enttäuscht, die auch wir in ihn gesetzt haben.
In diesem Land gibt es fast keine Produktionsbetriebe mehr und auch die Landwirtschaft wird nicht unterstützt. Die Wirtschaft läuft so: Es wird Öl exportiert und aus dem Erlös werden alle Güter importiert. Das führt zu einer Mangelwirtschaft.
UZ: Welche Teile der Bevölkerung tragen den Aufstand? Haben die Demonstrationen schon etwas bewirkt?
Rachid Ghewilieb: Es sind vor allem die jungen Menschen, die nach 2003 aufgewachsen sind. Die 15- bis 35-Jährigen haben keine Hoffnung mehr, dass dieses politische System reformierbar ist, und sie haben keine Perspektive. Auch wenn sie gut ausgebildet sind, sitzen sie zu Hause oder verkaufen Tee auf der Straße. Weil es außer der Ölindustrie praktisch keine Wirtschaftsbetriebe mehr gibt, auch keine privaten, haben sie die Hoffnung auf ein normales Leben verloren. Sie verlangen Arbeit, eine Wohnung, Gesundheitsversorgung. Der Irak ist politisch instabil und immer noch nicht souverän. Der Konflikt zwischen dem Iran und den USA spiegelt sich im Irak sehr stark. Die Menschen in einem Land, das seit 40 Jahren nur Krieg kennt, fürchten, in einen neuen Krieg hineingezogen zu werden. Auch deshalb gehen sie auf die Straße, und zwar nicht, wie in der Vergangenheit als Sunniten oder Schiiten, sondern als Iraker.
UZ: Wie positioniert sich die Kommunistische Partei des Irak in den Auseinandersetzungen?
Rachid Ghewilieb: Wir unterstützen den Aufstand, unsere Genossinnen und Genossen sind Teil der Protestbewegung. Wir verurteilen die Brutalität, mit der die Polizei und anonyme Schlägerkommandos gegen die Demonstranten vorgehen. Zirka 200 Menschen sind schon durch die Kugeln von Scharfschützen umgekommen, niemand weiß, wo sie herkommen und auf wessen Befehl sie handeln. Aus unseren Reihen sind bereits fünf Genossinnen und Genossen zu Märtyrern der Bewegung geworden und wir beklagen 18 Verletzte.
Auch die Gewerkschaften unterstützen die Proteste, aber Betriebsarbeiter sind außer in der Ölindustrie durch die große Arbeitslosigkeit fast nicht mehr vorhanden
Wir verlangen von der Regierung, dass sie die Sicherheitskräfte in die Schranken weist und gegen die kriminellen bewaffneten Banden vorgeht. Und wir verlangen das Recht auf Demonstrationen und freie Meinungsäußerung, außerdem die Freilassung derer, die jetzt wegen ihres Eintretens für ihre Grundrechte im Gefängnis sind.
Als Teil des Bündnisses Sairun fordern wir Neuwahlen. Was wir brauchen, ist eine Systemänderung. Anders wird es zu keiner Verbesserung der Lebenslage der Massen kommen.
UZ vom 25. Oktober 2019
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