Diskussionsbeitrag
zur Bundestagswahl und DKP

Georg Polikeit war von Januar 1972 bis Dezember 1988 Chef­re­dakteur der UZ (Unsere Zeit), der Zeitung der DKP. Er ist Kenner der EU und nutzt für seine Recherchen auch fran­zö­sisch-spra­chige Quellen.

Zur Lage nach der Bundestagswahl

aktu­eller Diskussionsbeitrag

Ich will zu den zwei o.g. The­men­kreisen etwas schreiben: Zur Lage nach der Bun­des­tagswahl und zur Lage in der DKP.

Das in dem gege­benen Platz ziemlich schwierig. Ich kann daher keine umfas­sende Ein­schätzung der Lage mit allen damit zusam­men­hän­genden Fragen bieten, sondern lediglich ein paar Punkte streif­licht­artig erwähnen. Ich kon­zen­triere mich dabei auf einige wenige Fragen, die auf­grund der ent­stan­denen Lage meiner Meinung nach in der unmit­telbar nächsten Zeit im Mit­tel­punkt unserer Par­tei­ak­ti­vität stehen müssten. Sowohl zentral wie in der Tätigkeit der Kreise und Gruppen vor Ort. Ich beschränke mich dabei auf vier aktuell-poli­tische Tätig­keits­felder, bei denen ich meine, dass es trotz der vor­han­denen starken Mei­nungs­ver­schie­den­heiten möglich sein müsste und könnte, gemeinsame Akti­vi­täten, sozu­sagen «strö­mungs­über­greifend», zu ent­wi­ckeln. Das heißt natürlich nicht, dass es vor Ort auch viele andere The­men­be­reiche geben kann, bei denen wir aktiv an der Ent­wicklung von Bewe­gungen mit­wirken sollten, bei­spiels­weise zum Thema der gra­vie­renden Woh­nungsnot in vielen Städten.

Auch zur Par­tei­frage werde ich mich nur auf Anmer­kungen zu einigen Pro­blemen beschränken, die gegen­wärtig in der Dis­kussion sind. Also keine umfas­sende Betrachtung dazu.

Im Grunde hoffe ich auf ergän­zende, berei­chernde und mög­li­cher­weise auch wider­spre­chende Dis­kus­si­ons­bei­träge, damit wir einen inter­es­santen Mei­nungs­aus­tausch haben können.

Zur Lage nach der Bundestagswahl

Dass das Ergebnis der Bun­des­tagswahl als ein wei­terer Rechtsruck in Deutschland mit gefähr­lichen Folgen ein­ge­schätzt werden muss, wird nicht nur von uns fest­ge­stellt. Ein Rechtsruck im poli­ti­schen Kräf­te­ver­hältnis, aber leider auch ein Rechtsruck in der Stimmung von großen Teilen der Bevölkerung.

Die Frage, die sich ergibt, ist aber, ob wir uns die Trag­weite dieses Rechts­rucks für die nächste vor uns lie­gende Zeit, für die kom­menden vier Jahre schon genügend bewusst gemacht haben. Haben wir schon die Folgen im Blick, die sich daraus für die Men­schen in diesem Land und damit auch für uns ergeben und ergeben können? Welche Schluss­fol­ge­rungen ergeben sich daraus für unsere eigene poli­tische Tätigkeit in der nächsten Zeit?

Die UZ erschien in ihrer ersten Ausgabe nach der Wahl mit der Titel­zeile: «Weiter so mit Mutti». Da fragt man sich schon, warum wir das «Mutti»-Bild über­nehmen, das in der bür­ger­lichen Bou­le­vard­presse doch mit wohl­kal­ku­lierter Absicht gepflegt wird. Selbst wenn es hier iro­nisch gemeint war.

Aber vor allem: ein «Weiter so» wird es nach dieser Wahl eben gerade nicht geben.

Zur AfD

Der Rechtsruck besteht nicht nur aus dem Einzug der AfD als dritt­stärkste Fraktion in den Bun­destag mit einer großen Truppe von fast hundert Abge­ord­neten. Plus damit zusam­men­hän­genden, aus Steu­er­mitteln bezahlten Assis­ten­ten­stellen, Wahl­kreis­büros und vielen anderen Vor­teilen und neuen Mög­lich­keiten der Stim­mungs­mache in der Öffentlichkeit.

Schon dies allein wird spürbare Folgen haben, sowohl im par­la­men­ta­ri­schen Betrieb, aber vor allem für die Ent­wicklung von Stim­mungen in Teilen der Bevöl­kerung. Und nicht zuletzt auch in den Medien.

Es ist falsch, die AfD pau­schal als neo­fa­schis­tische Partei zu bezeichnen.

Die AfD ist eine reak­tionäre Rechts­partei neben CDU und CSU mit erz­kon­ser­va­tiver, natio­na­lis­ti­scher und frem­den­feind­licher Aus­richtung. Sie verfügt über einen rechts­bür­ger­lichen Flügel, aber auch über einen starken im Rechts­extre­mismus ver­an­kerten Flügel, der die Kon­takte zu jeder Art von Neo­na­zi­szene pflegt.

Die AfD erfüllt im Par­tei­en­system der Bun­des­re­publik schon heute ganz bestimmte Aufgaben:

  • Sie wird als rechtes Auf­fang­becken, als Reser­ve­for­mation auf­gebaut und gebraucht, falls die Abwan­derung von CDU, CSU und anderen Par­teien weiter anhält oder noch stärker wird.
  • Sie erfüllt die Funktion einer Stich­wort­ge­berin und «Drü­cker­ko­lonne» für das weitere Vor­an­treiben der Rechts­ent­wicklung, was von den Regie­renden gern genutzt wird, um ihr eigene Weiter-nach-rechts-Rücken zu ver­decken oder aber auch zu rechtfertigen.
  • Die AfD ist ein nütz­liches Instrument, um die Ent­täu­schung und Wut über die herr­schende Politik auf falsche Ursachen, falsche Sün­den­böcke und falsche Pro­blem­lö­sungen abzulenken.

Es bleibt also für uns Kom­mu­nis­tinnen und Kom­mu­nisten eine erst­rangige Aufgabe, an der Errichtung von Dämmen jeder Art gegen die rechte Flut mit­zu­wirken. Gemeinsam mit vielen anderen demo­kra­tisch gesinnten Menschen.

Wir werden uns in der nächsten Zeit noch stärker und inten­siver als bisher mit flücht­lings- und frem­den­feind­lichen Stim­mungen, mit der Schürung von Angst vor Ter­ro­rismus und anwach­sender Kri­mi­na­lität, mit deutsch­tü­melnd-natio­na­lis­ti­schen Parolen aus­ein­an­der­setzen müssen. Darauf sollten wir uns bewusst ein­stellen und uns die dazu nötigen Argu­mente aneignen oder wieder ins Gedächtnis rufen.

Ich stelle zu diesem Punkt auch zur Dis­kussion, ob die DKP auf dem kom­menden Par­teitag nicht eine Initiative zu einer bun­des­weiten Anti-AfD-Kam­pagne beschließen sollte. Eine Kam­pagne, die sich gezielt und präzise spe­ziell mit der AfD und den von ihr ver­brei­teten Parolen und Pro­gramm­po­si­tionen aus­ein­an­der­setzt. Bei­spiels­weise mit einem gut gestal­teten, ver­ständlich geschrie­benen Material mit ein­leuch­tenden Argu­menten, einem Traktat oder einer kleinen Bro­schüre, viel­leicht mit tref­fenden Kari­ka­turen oder Comics, das wir dann bun­desweit an Info­ständen usw. ver­teilen könnten. Auch Auf­kleber oder Kle­be­zettel wären ange­bracht. Das könnte nach meiner Vor­stellung bei­spiels­weise eine bun­des­weite Akti­vität sein, in der die ganze Partei wieder «strö­mungs­über­greifend» tätig werden könnte.

Es geht aber nicht nur um die AfD.

Es ist richtig: CDU, CSU und SPD haben bei der Bun­des­tagswahl deut­liche Ver­luste erlitten. Aber können wir uns damit zufriedengeben?

Müssen wir nicht auch zur Kenntnis nehmen und in unsere wei­teren poli­ti­schen Über­le­gungen ein­be­ziehen, dass CDU und CSU immer noch mehr als 15,7 Mil­lionen Wähler hinter sich bringen konnten? Zusammen mit der AfD ergibt sich, dass fast 40 % der Wähler den Kurs nach rechts zumindest gebilligt haben, jeden­falls eine linke Alter­native nicht als eine bessere Lösung für ihre Pro­bleme ansehen.

Umso mehr gilt, dass die Aus­ein­an­der­setzung mit rechten und rechts­extre­mis­ti­schen Posi­tionen ein zen­trales poli­ti­sches Arbeitsfeld in unserer künf­tigen Tätigkeit sein muss.

Das Gute ist, dass wir dabei nicht allein stehen.

Gerade in dieser Frage wird es sicher weiter die Mög­lichkeit geben, in breiten Bünd­nissen mit­zu­ar­beiten. Und zwar in Bünd­nissen weit über die Linken hinaus. Bis weit in die Gewerk­schaften, in christ­liche und andere bür­ger­liche Kreise hinein, auf ört­licher Ebene auch bis in die CDU, SPD, die Grünen und man­cherorts auch in die FDP hinein.

Wir sollten uns also darauf ori­en­tieren, in solchen Bünd­nissen enga­giert mit­zu­ar­beiten, In part­ner­schaft­lichem Respekt gegenüber den anderen Betei­ligten. Auch wenn sie nur die im Grund­gesetz ste­henden demo­kra­tische Grund­sätze und Werte gegen die AfD ver­tei­digen wollen und unsere sys­tem­kri­tische und anti­ka­pi­ta­lis­tische Ein­stellung nicht teilen.

Generell bekommt meiner Meinung nach die Ver­tei­digung des Grund­ge­setzes und der darin ent­hal­tenen demo­kra­ti­schen Grund­sätze, das bewusste Anknüpfen an diesen Grund­sätzen in unseren poli­ti­schen Äuße­rungen in den kom­menden Jahren einen noch höheren Stel­lenwert als bisher.

Rechtsentwicklung im wirtschaftlich-sozialen Bereich

Die mit der Bun­des­tagswahl ein­ge­leitete weitere Rechts­ent­wicklung wird nicht nur den poli­ti­schen Bereich betreffen. Sie wird auch im wirt­schaftlich-sozialen Bereich sehr spürbare Folgen haben.

Der Bun­des­verband der Deut­schen Industrie (BDI) hat punkt­genau zum Beginn der Koali­ti­ons­ver­hand­lungen und zur kon­sti­tu­ie­renden Sitzung des Bun­destags ein Zehn‑Punkte‑Programm für die kom­mende Legis­la­tur­pe­riode ver­öf­fent­licht und dieses Papier an alle Teil­nehmer an den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen und alle Bun­des­tags­ab­ge­ord­neten verschickt.

Darin for­mu­liert der BDI zen­trale For­de­rungen des Kapitals, die in den kom­menden vier Jahren durch­ge­setzt werden sollen. Zu den Leit­linien dieses Pro­gramms gehören wörtlich «Eigen­ver­ant­wortung statt Umver­teilung» und «Inno­vation und Inves­ti­tionen statt wei­terer sozialer Wohl­taten». Und eben­falls wörtlich dann aus­drücklich: «Spru­delnde Steu­er­ein­nahmen, Wirt­schafts­wachstum und niedrige Zinsen dürfen nicht zu einem Weiter so führen».

Damit ist klar: das Kapital will kein «Weiter so» . Die Unter­nehmer wollen und fordern von der künf­tigen Regierung und Bun­des­tags­mehrheit, dass die Offensive des Kapitals auf die sozialen Lebens­ver­hält­nisse der Bevöl­kerung nicht nur wie bisher fort­ge­setzt, sondern ver­schärft und beschleunigt weiter vor­an­ge­trieben wird.

Die maß­ge­benden Kapi­tal­k­reise wollen eine neue Phase ver­stärkter neo­li­be­raler Dere­gu­lierung der Arbeits­ver­hält­nisse, die Senkung der soge­nannten «Arbeits­kosten» , also der Aus­gaben für Arbeits­kräfte, die Aus­weitung von Bil­liglohn-Arbeits­ver­hält­nissen, des Nied­rig­lohn­sektors, die größere Fle­xi­bi­li­sierung der Arbeits­zeiten und die Ein­schränkung von Über­stun­den­kosten, die weitere Durch­lö­cherung des Kün­di­gungs­schutzes zum schnel­leren Heuern und Feuern der Beschäf­tigten zwecks schnel­lerer Anpassung an sich ver­än­dernde Auf­trags­lagen und Konjunkturschwankungen.

Außerdem fordert der BDT größere Steu­er­erleich­te­rungen für die Unter­nehmen. Natürlich mit der Folge, dass damit die Ein­nahmen für Bund, Länder und Gemeinden schrumpfen. Gleich­zeitig ist es aber im Zehn-Punkte-Pro­gramm des BDI auch eine wichtige For­derung, mehr Inves­ti­tionen aus Steu­er­mitteln in die Infra­struktur zu fördern. Damit sind natürlich vor allem mehr öffent­liche Auf­träge an die Pri­vat­wirt­schaft beim Straßen- und Brü­ckenbau, beim Ausbau von digi­talen Netzen usw. gemeint.

Folglich werden Bund, Länder und Gemeinden also künftig noch weniger Geld als bisher für das Bil­dungs- und Gesund­heits­wesen, für die Kultur, für die För­derung von Sport und Freizeit, für Sozi­al­hilfe haben. Das kann nur heißen, dass ver­schärfte Spar­maß­nahmen in allen diesen Bereichen vor­pro­gram­miert sind. Eben deshalb pro­pa­giert der BDI die Abschaffung von «sozialen Wohltaten» .

Zur Durch­setzung dieses Kurses gehört natürlich auch ein wei­terer und ver­stärkter Angriff auf die Gewerk­schaften, um sie weiter zu schwächen und ihre Mit­be­stim­mungs- und Ein­fluß­mög­lich­keiten, so bescheiden sie auch heute sind, weiter einzuschränken.

Mit anderen Worten: wir haben allen Grund, in Betrieben und Büro, soweit wir dort noch ver­ankert sind, über diese kom­menden Ent­wick­lungen zu alar­mieren, mit den Kol­le­ginnen und Kol­legen darüber zu sprechen. Es bleibt eine zen­trale Aufgabe von uns Kom­mu­nis­tinnen und Kom­mu­nisten, enga­giert in den Gewerk­schaften mit­zu­wirken und bei ihrer Stärkung, auch ihrer zah­len­mä­ßigen Stärkung mit­zu­helfen, also aktiv neue Mit­glieder für sie zu werben. Das gilt auch dann, wenn der Kurs der Gewerk­schaften derzeit nach wie vor über­wiegend von der Ideo­logie der Sozi­al­part­ner­schaft geprägt wird. Denn trotz der Vor­herr­schaft dieser Ideo­logie kommt es ange­sichts der objek­tiven Ent­wick­lungs­be­din­gungen des Kapi­ta­lismus und der sich daraus erge­benen Vor­haben der Kapi­tal­seite immer wieder zu sozialen Kon­flikten, die, wie die Praxis zeigt, auch größere Ausmaße annehmen können. Bei denen wir selbst­ver­ständlich aktiv mit­helfen und darum bemüht sein müssen, dass die gewerk­schaft­liche Kampf­kraft zum Einsatz gebracht wird, im mög­lichst engen Schul­ter­schluss mit den übrigen Kol­le­ginnen und Kollegen.

Zugleich ergeben sich aus den Folgen der Rechts­ent­wicklung im sozialen Bereich aber auch neue Mög­lich­keiten, auch auf ört­licher Ebene, in lokalen, regio­nalen oder bun­des­weiten Zusam­men­hängen Wider­stand gegen weitere Sparma0nahmen, Ein­schränkung der öffent­lichen Mittel und Sozi­al­abbau ent­wi­ckeln zu helfen, auch hier natürlich mög­lichst gemeinsam mit Gewerk­schaften, Sozial- und Wohl­fahrts­ver­bänden und vielen anderen in diesen Bereichen tätigen Ver­ei­ni­gungen und Trägern.

Ökologie

Natürlich wird die Rechts­ent­wicklung auch schwer­wie­gende Aus­wir­kungen in den Bereichen der Öko­logie und der Frie­dens­po­litik haben. Ich kann das nicht aus­führlich behandeln. Aber wenigstens sei gesagt:

Die kom­mende Legis­la­tur­pe­riode wird davon gekenn­zeichnet sein, dass selbst die kli­ma­po­li­ti­schen Ziele und die Ziele für den Ausbau erneu­er­barer Energien, die von der Bun­des­re­gierung bisher selbst ver­kündet worden sind, unter dem Druck der großen Energie- Kohle- und Atom­kon­zerne weiter zurück­ge­schraubt werden.

Die wahr­schein­liche Betei­ligung der Grünen an der nächsten Regierung wird daran kaum etwas ändern.

Dabei sind die schwer­wie­genden Folgen der nicht ein­ge­hal­tenen ener­gie­po­li­ti­schen Ziele in diesem Bereich unbe­streitbar. Und zwar nicht nur in fer­nerer Zukunft, sondern schon in den unmit­telbar nächsten Jahren. Und nicht nur in Afrika oder auf anderen Kon­ti­nenten, sondern auch hier bei uns mitten in Europa. Mit sich ver­schär­fenden Extrem-Wet­ter­erschei­nungen, Stürmen, Über­schwem­mungen, Trocken- und Dür­re­pe­rioden, erheb­licher Ver­än­derung der Anbau­be­din­gungen für Kul­tur­pflanzen und land­wirt­schaft­liche Pro­dukte sowie schwer­wie­genden Folgen für die ganze Biosphäre.

Umso stärker sollten wir also unse­rer­seits an der Ent­wicklung breiter Bewe­gungen für die Durch­setzung der not­wen­digen Kli­ma­schutz­ziele und die Umstellung auf erneu­erbare Energien mit­wirken. Ich halte das für einen not­wen­digen und wich­tigen Schwer­punkt für unsere Par­tei­tä­tigkeit in den nächsten Jahren.

Ähnliches gilt für die Friedensfrage.

Hier muss es meiner Ansicht nach in der nächsten Zeit vor allem darum gehen, eine Bewegung gegen die Erhöhung der Mili­tär­aus­gaben mit dem Ziel des NATO-Kri­te­riums von 2 % des BIP ent­wi­ckeln zu helfen. Denn das ist eines der Haupt­ziele der kom­menden Bun­des­re­gierung. Und es gibt dafür eine breite Aus­gangs­basis in weiten Teilen der Bevölkerung.

Dabei sollten wir meines Erachtens wieder stärker an einer unserer frü­heren Stärken anknüpfen. Nämlich an der engen Ver­knüpfung von Rüs­tungs- und Sozi­al­po­litik. Es muss wieder zu einer ver­brei­teten gene­rellen Erkenntnis werden: Was für die Moder­ni­sierung der Bun­deswehr mit neu­esten Waf­fen­sys­temen und Aus­rüs­tungen für Aus­lands­ein­sätze aus­ge­geben wird, kommt nur den Pro­fiten der Rüs­tungs­kon­zerne zugute. Es dient nicht unserer Sicherheit. Aber es fehlt zwangs­läufig im Sozial- und Bil­dungs­be­reich, für Lehrer und Schul­räume, für öffent­liche Gesund­heits­pflege u.a.m.

Ein zweiter Kern­punkt frie­dens­po­li­ti­scher Akti­vität in nächster Zeit könnte – ich stelle das zur Dis­kussion – viel­leicht der Versuch sein, eine Kam­pagne für das Verbot der Atom­waffen und für die Unter­zeichnung des ent­spre­chenden inter­na­tio­nalen Ver­trags durch die Bun­des­re­gierung ent­wi­ckeln zu helfen.

Die Ver­leihung des Frie­dens­no­bel­preises an ICAN, die Inter­na­tio­nalen Kam­pagne zur Abschaffung von Atom­waffen, hat dafür ein güns­tiges Umfeld geschaffen.

Es ist doch ein nicht hin­nehm­barer Skandal, gerade auch ange­sichts der deut­schen Geschichte, dass die Bun­des­re­gierung die Ver­hand­lungen über diesen Vertrag boy­kot­tiert hat und sich weigert, ihn zu unterzeichnen.

Ich glaube, dass eine solche Kam­pagne für den Vertrag zum Verbot aller Atom­waffen große Unter­stützung finden kann und viel­leicht sogar zu einem neuen Auf­schwung der Frie­dens­be­wegung bei­tragen könnte, etwa bei den kom­menden Oster­mär­schen und dem Anti­kriegstag am 1. September.

SPD

Zu den neuen poli­ti­schen Bedin­gungen, mit denen wir es in der kom­menden Zeit zu tun haben werden, gehört auch eine ver­än­derte Rolle der Sozi­al­de­mo­kratie im bun­des­deut­schen Parlaments-Betrieb.

Natürlich wird sich damit die Rolle und Politik der SPD nicht grund­legend ändern.

Aber ich würde es nicht für richtig halten, sich unse­rer­seits nur auf die Mit­teilung zu beschränken, dass von der Schulz-Nahles-SPD auch in Zukunft nichts anderes zu erwarten sein wird als bisher.

Mit der Oppo­si­ti­ons­rolle im Par­lament wird die SPD zwangs­läufig zu einer stär­keren Kritik und Aus­ein­an­der­setzung mit der CDU/​CSU und mit künf­tigen Vor­haben einer schwarz-gelben Bun­des­re­gierung mit grünem Feigenblatt6 gezwungen sein. Das gilt meines Erachtens auch für ihre Füh­rungs­kräfte. Das ändert, wie gesagt, nichts an der prin­zi­pi­ellen Aus­richtung der SPD-Politik. Aber kann darin nicht doch auch eine Chance liegen, mehr Druck von unten als bisher auf den Kurs der SPD auszuüben?

Wie weit dies gehen kann, hängt nicht allein von Schulz und seinen übrigen SPD‑Granden ab. Die neue Rolle der SPD im Par­la­ments­be­trieb kann auch in Ent­wick­lungen an der Basis Aus­wir­kungen haben und von dort aus wieder auch auf das Ver­halten von Spit­zen­kräften zurückwirken.

Deshalb sollten wir uns meiner Ansicht nach überall da, wo es möglich ist, vor Ort um ein offenes Ver­hältnis auch zu den Sozi­al­de­mo­kraten bemühen.

Linkspartei

Ich kann hier auch nicht näher auf die Dis­kussion ein­gehen, die im Ergebnis der Bun­des­tagswahl innerhalb der Links­partei ent­standen ist.

Es sieht so aus, also ob das Wahl­er­gebnis in den Reihen der Links­partei eher als unbe­frie­digend beur­teilt wird, obwohl sie doch immerhin eine halbe Million Stimmen hin­zu­ge­wonnen hat.

Das hängt wohl in erster Linie mit den erheb­lichen Stim­men­ver­lusten in den ost­deut­schen Ländern zusammen, wo viele an die AfD ver­loren wurden.

Darüber hinaus ergibt sich aber auch generell die Frage, warum es der Links­partei nicht gelingt, von den Mil­lionen Ent­täu­schen mehr in ihre Richtung zu lenken. Warum schafft sie es nicht, für bedeutend mehr Men­schen als bisher zu einem attrak­tiven Pol für eine linke Alter­native zu werden?

Das könnte meiner Meinung nach viel mit der weit­ge­henden Beschränkung der Links­partei auf Par­la­ments­arbeit auf allen ‚Ebenen, vom Bund bis in die Kom­munen, zu tun haben. Das begünstigt den Ein­druck, dass auch die Links­partei im Grunde schon zu den «eta­blierten Par­teien» gehört und in das herr­schende System ein­ge­bunden ist.

Aber es ist nicht meine Sache, den Linken da gut­ge­meinte oder viel­leicht auch als bes­ser­wis­se­risch emp­fundene Rat­schläge zu geben. Das muss die Linke selbst klären.

Wir in der DKP müssen aber klären, welche Haltung wir künftig unter den neuen Bedin­gungen einer ver­schärften Rechts­ent­wicklung in unserem Land gegenüber der Links­partei einnehmen.

Können wir uns wei­terhin darauf beschränken, unser Ver­hältnis zur Links­partei im Wesent­lichen auf den Satz zu redu­zieren, dass es unsere Aufgabe sei, «Druck von links auf die Linke» aus­zuüben? Das beherrscht ja derzeit weit­gehend die Äuße­rungen aus der Par­tei­spitze zur Links­partei und auch die Dar­stellung in der UZ.

Aber machen wir uns damit nicht etwas vor, was mit unseren der­zei­tigen Kräften gar nicht rea­lis­tisch ist?

Oder müssen wir unser Ver­hältnis zur Links­partei nicht damit bestimmen, dass wir frag­würdige Ten­denzen und Ent­wick­lungen in der Links­partei zwar wei­terhin kri­ti­sieren, aber nicht dies in den Mit­tel­punkt stellen, sondern statt­dessen in erster Linie die Gemein­sam­keiten her­vor­heben und in den Vor­der­grund stellen, bei denen die Haltung und Aus­sagen der Links­partie mit unseren eigenen Ansichten über­ein­stimmen? Müssen wir ange­sichts der Gefahren der wei­teren Ent­wicklung nach rechts nicht sogar eine weitere Stärkung der Links­partei in der bun­des­deut­schen Par­tei­en­land­schaft für wün­schenswert halten, weil damit die Bedin­gungen, das heißt das Kräf­te­ver­hältnis für die Durch­setzung einer anderen Politik in Deutschland ver­bessern würden? Und weil die Links­partei im Kampf gegen die weitere Rechts­ent­wicklung nun einmal unser erster Bünd­nis­partner ist oder min­destens sein sollte. Mit wem sonst wollen wir denn in der nächsten Zeit gegen die weitere Rechts­ent­wicklung ankämpfen?

Zur Situation in der DKP

Nun bleibt mir nur noch wenig Zeit, etwas zur Lage in der DKP zu sagen. Aber ein paar Punkte möchte ich dazu doch noch in die Dis­kussion einbringen.

Was mich bei diesem Thema mit Blick auf den nächsten Par­teitag im März am meisten umtreibt, ist der Umstand, dass sich die Par­tei­führung, die Mehrheit im Par­tei­vor­stand offenbar als völlig unfähig erweist und absolut nicht gewillt ist, auch nur das kleinste Zeichen für Ver­stän­digung und Dis­kussion in Richtung der soge­nannten «Par­tei­op­po­sition» zu senden.

Es ist davon aus­zu­gehen, dass die großen Mei­nungs­ver­schie­den­heiten in der Partei, die sich nicht erst seit kurzem ergeben haben, sich in den letzten vier Jahren seit dem 20. Par­teitag aber enorm zuge­spitzt und ver­härtet haben, nicht kurz­fristig über­wunden werden können, schon gar nicht bis zum nächsten Par­teitag geklärt und geregelt sein können.

Aber muss das wirklich heißen, dass es kei­nerlei Mög­lichkeit mehr gibt, Ori­en­tie­rungen für ein gemein­sames poli­ti­sches Handeln zu finden, um wenigstens mit den der DKP noch vor­han­denen Kräften den Wider­stand gegen die weitere Rechts­ent­wicklung stärken zu helfen?

Ich finde, es ist unsere poli­tische Ver­ant­wortung, dies zumindest ernsthaft zu versuchen.

Leider ist aber mit der 9. und 10. PV-Tagung statt­dessen nur der große Knüppel von Sank­tionen geschwungen worden, die nun vom nächsten Par­teitag bestätigt werden sollen. Das hat ver­häng­nis­volle Folgen und wird, wenn es auf dem Par­teitag beden­kenlos durch­ge­zogen wird, tat­sächlich exis­tenz­ge­fähr­dende Folgen für die DKP haben.

Begründet wird Vor­gehen der Par­tei­spitze mit dem Argument, dass dies zur Wahrung von Einheit und Geschlos­senheit der Partei nötig und sogar unver­zichtbar sei.

Aber in Wirk­lichkeit droht das genaue Gegenteil dabei her­aus­zu­kommen. Nämlich ein wei­teres Aus­ein­an­der­di­vi­dieren der kom­mu­nis­ti­schen, an der mar­xis­ti­schen Theorie ori­en­tierten Kräfte in diesem Land, eine weitere, auch zah­len­mäßige Schwä­chung der DKP und die weitere Zer­split­terung der Kräfte in immer mehr relativ wir­kungslose Klein­gruppen, die an der unheil­dro­henden poli­ti­schen Ent­wicklung in diesem Land nicht mehr das Geringste ändern.

Parteikonzept

Dahinter steht meines Erachtens ein ver­al­tetes, durch die geschicht­lichen Erfah­rungen über­holtes Par­tei­ver­ständnis oder Par­tei­konzept, bei dem abwei­chende Mei­nungen nicht geduldet werden.

Ein solches Par­tei­modell ist in der kom­mu­nis­ti­schen Bewegung in der Ver­gan­genheit tat­sächlich lange prak­ti­ziert worden. Sein Ursprung geht auf Stalins Zeiten zurück. Aber es hatte bekanntlich schon damals ver­häng­nis­volle Folgen. Später gab es einige abschwä­chende Kor­rek­turen. Dennoch erwiesen sich aber viele Par­teien, die es prak­ti­zierten, schließlich als nicht in der Lage, die Einheit und Geschlos­senheit der Partei unter den Bedin­gungen der großen Prüfung in der Nie­derlage von 1989/​90 zu bewahren und dieser geschicht­lichen Belastung standzuhalten.

Die DKP hat mit dem Par­tei­statut von 1993 ver­sucht, aus diesen Ent­wick­lungen ent­spre­chende Lehren zu ziehen und ein anderes, für unter­schied­liche Mei­nungen offe­neres Par­tei­konzept zu ent­wi­ckeln. Dahinter sollten wir auf keinen Fall zurückgehen.

Unter­schied­liche Mei­nungen auch unter Kom­mu­nis­tinnen und Kom­mu­nisten sind meiner Meinung nach unter den heute gege­benen Bedin­gungen eigentlich der Nor­mal­zu­stand. Sie ergeben sich, weil schon die Arbeits- und Lebens­be­din­gungen der Mit­glieder heute sehr viel unter­schied­licher sind als in ver­gan­genen Zeiten. Par­tei­mit­glieder machen in ihrem Arbeits­leben und in ihrem nach­bar­schaft­lichen Umfeld heute andere, unter­schied­li­chere Erfah­rungen. Die Par­tei­mit­glieder haben per Aus­bil­dungsweg und per­sön­lichem und beruf­lichem Ent­wick­lungsgang unter­schied­liche Kennt­nisse und einen unter­schied­lichen Kenntnis- und Wis­sens­stand. Schließlich sind auch die indi­vi­du­ellen Fähig­keiten, zum Bei­spiel neue Pro­bleme und Ent­wick­lungen zu erkennen, zu ver­ar­beiten und zu ver­all­ge­meinern, unter­schiedlich. Auch die objek­tiven Bedin­gungen im natio­nalen wie inter­na­tio­nalen Rahmen und die Klas­sen­be­zie­hungen sind nicht ein­facher, sondern gegenüber eher kom­pli­zierter und dif­fe­ren­zierter geworden.

Daraus ergibt sich meines Erachtens, dass unter­schied­liche Ansichten und Erfah­rungen, die die Mit­glieder in die Par­tei­arbeit ein­bringen, kein Unglück oder Element der Schwäche sind, sondern eine Berei­cherung dar­stellen können, weil damit das eigene Blickfeld erweitert, die eigenen Vor­stel­lungen ergänzt, erweitert und ver­ge­nauert werden können. Vor­aus­ge­setzt natürlich, die Partei ver­steht es, wirklich einen echten kol­lek­tiven Mei­nungs­aus­tausch darüber zu orga­ni­sieren, in dem Fakten, Argu­mente und Bewer­tungen mit­ein­ander aus­ge­tauscht und kon­fron­tiert werden. Das heißt, Dis­kus­sionen und Mei­nungs­un­ter­schiede in der Partei nicht nur zu dulden, sondern gewollt zu fördern und einen echten Dialog darüber ein­schließlich not­wen­diger Aus­ein­an­der­set­zungen zu ent­wi­ckeln. Aber so sachlich und soli­da­risch wie möglich, ohne den Gebrauch fal­scher Behaup­tungen und abwer­tender Eti­ket­tie­rungen. Um schließlich dabei einen mög­lichst breiten Konsens zu suchen und zu finden.

Dabei wird es ver­mutlich nicht immer möglich sein, in relativ kurzer Zeit volle Über­ein­stimmung zu erreichen. Dann werden Mehr­heits­be­schlüsse unver­meidlich. Aber auch dann sollten mög­lichst viele Mit­glieder vorher in die Mei­nungs­bildung ein­be­zogen und daran beteiligt gewesen sein und ein mög­lichst breiter Konsens gesucht werden. Knappe Mehr­heits­be­schlüsse gegen einen großen Teil der Partei dürfen nicht die Regel, sondern müssen die absolute Aus­nahme sein, für die dann auch geson­derte Regeln gelten.

Beschlussverbindlichkeit

Ein Kern­stück bei der Aus­ein­an­der­setzung um diese Fragen ist das Argument von der Beschlussverbindlichkeit.

Doch ver­fochten wird dabei eine Auf­fassung von Beschluss­ver­bind­lichkeit, die die bedin­gungslose Unter­ordnung aller unter einmal gefasste Beschlüsse und die Betei­ligung aller an ihrer Umsetzung ver­langt, auch wenn diese Beschlüsse vorher stark umstritten waren und nur von einem Teil der Partei als richtig ange­sehen werden. Alle, die vorher andere Meinung waren, sollen gezwungen sein, ihre bis­herige Meinung auf­zu­geben und das Gegenteil dessen zu tun, was sie selbst für richtig halten und vorher ver­treten oder gedacht haben.

Ich stelle die Frage, ob auf diese Weise tat­sächlich auch heute noch eine stärkere Einheit und Geschlos­senheit der Partei erreicht werden kann.

Was bringt es denn, wenn ich anderen gegenüber gezwun­ge­ner­maßen Beschlüsse und poli­tische Posi­tionen ver­trete, die ich selbst für falsch halte? Wie über­zeugend kann ich dann dabei sein?

Kann man Kom­mu­nis­tinnen und Kom­mu­nisten, kann man über­haupt Men­schen im 21. Jahr­hundert heute noch durch Androhung von Sank­tionen dazu zwingen, ent­gegen ihrer eigenen Über­zeugung zu handeln?

Ich halte dieses Ver­ständnis von Beschluss­ver­bind­lichkeit für einen Trug­schluss. Es erzeugt nur Span­nungen und Gegen­sätze unter uns, aber nicht wirklich eine größere Wirk­samkeit in der poli­ti­schen Praxis.

Deshalb sollten und müssen wir meiner Meinung nach über eine andere Vor­stellung von Beschluss­ver­bind­lichkeit nach­denken, die den geschicht­lichen Erfah­rungen und den heu­tigen Bedin­gungen am Anfang des 21. Jahr­hun­derts besser gerecht wird.

Nach meiner Meinung kann Beschluss­ver­bind­lichkeit heute nur bedeuten, dass Beschlüsse für die gesamte Partei gültig sind, also in ihrem Namen aus­ge­führt werden können, dass aber nicht jedes Mit­glied gezwungen werden kann, gegen seine eigene Über­zeugung dabei mitzuwirken.

Besser sind natürlich Beschlüsse, die, bevor sie gefasst werden, in der Mei­nungs­bildung der Partei weit­ge­hende Über­ein­stimmung oder eine breite Basis gefunden haben. Dann ist Beschluss­ver­bind­lichkeit nämlich kein Problem. Das Problem der Beschluss­ver­bind­lichkeit ent­steht erst bei umstrit­tenen, relativ knappen Mehr­heits­ent­schei­dungen gegen einen relativ großen anderen Teil der Partei. Die Lösung dieses Pro­blems kann aber nicht in der Aus­grenzung und dem Aus­schluss der gegen­tei­ligen Meinung liegen. Es muss bei solchen Beschlüssen akzep­tiert werden, dass gegen­teilige Mei­nungen fort­be­stehen und weiter geäußert und zur Dis­kussion gestellt werden dürfen und dass die Anhänger der Gegen­meinung sich an der Aus­führung solcher Beschlüsse nicht betei­ligen, weil sie über­zeugt sind, dass sie falsch sind.

Das schließt ja nicht aus, da es in anderen Fragen sehr wohl wieder möglich ist, einen breiten Konsens und darauf gestützt auch gemein­sames Handeln zu erreichen.

Viel­leicht haben viele von uns in frü­heren Zeiten in ein­schlä­gigen Lehr­bü­chern ein anderes Par­tei­ver­ständnis gelernt und auch in der Praxis betrieben. Aber wie überall ist die Ent­wicklung auch in dieser Frage nicht stehen geblieben. Deshalb brauchen wir neue Über­le­gungen ent­spre­chend den heu­tigen Bedingungen.

Zum Wahlergebnis der DKP

Nun will ich in äußerster Kurz­fassung auch noch etwas zum Ergebnis der DKP bei der Bun­des­tagswahl sagen.

Ich glaube, wir müssen uns sehr davor hüten, uns bei der Ein­schätzung dieses Ergeb­nisses selbst etwas in die Tasche zu lügen und das nackte Zahl­en­er­gebnis einfach zu verdrängen.

Es ist mit den 11 500 Stimmen, die wir erreicht haben, weniger, als Unter­stüt­zungs­un­ter­schriften für die Kan­di­datur gesammelt worden sind, das schlech­teste Wahl­er­gebnis in der ganzen Geschichte der DKP. Selbst bei der EU‑Wahl 2009, das letzte Mal, als die DKP bun­desweit kan­di­diert hat, hatten wir mit 25 600 Stimmen noch mehr als doppelt so viel wie heute. Und sogar gegenüber der Land­tagswahl in Nord­rhein-West­falen im Frühjahr dieses Jahrs haben wir bis zum Herbst in diesem Bun­desland noch einmal 600 Stimmen verloren.

Da machen wir uns doch etwas vor, wenn wir zur Erklärung vor allem darauf ver­weisen, dass wir seit dreißig Jahren nicht mehr eigen­ständig zu einer Bun­des­tagswahl ange­treten seien. Als ob die Leute dadurch einfach ent­wöhnt worden wären, der DKP die Stimme zu geben.

In Wahrheit gibt es für dieses Ergebnis natürlich sehr viel tiefer lie­gende und wirklich poli­tische Gründe.

Dazu gehört nach wie vor die lang­fristig anhal­tende Wirkung des Schei­terns der sozia­lis­ti­schen Staaten in Europa. Das ist bei­spiels­weise damit ver­bunden, dass das Wort «Sozia­lismus» in vielen Köpfen früher ganz selbst­ver­ständlich ein Synonym für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft war. Heue ist das nicht mehr so. Heute ver­binden viele mit dem Wort «Sozia­lismus» bes­ten­falls die Vor­stellung, dass es der Versuch einer Alter­native zum Kapi­ta­lismus war, die in der Praxis aber «auch nicht funk­tio­niert hat. Das sind doch tief­ge­hende ideo­lo­gische Aus­wir­kungen, die beim besten Willen nicht einfach per Wil­lensakt und ver­stärkter Auf­klä­rungs­arbeit von uns in kurzer Zeit über­wunden werden können.

Hinzu kommen die Folgen der großen welt­wirt­schaft­lichen und tech­no­lo­gi­schen Umbrüche in den letzten Jahr­zehnten, die auch mit großen sozio­lo­gi­schen Ver­än­de­rungen in der Arbei­ter­klasse und ent­spre­chenden sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen und ideo­lo­gi­schen Ver­än­de­rungen ver­bunden waren.

Aber hinzu kommt vor allem auch die anhal­tende Schwäche unserer Partei, die offen­sichtlich auch in den letzten vier Jahren seit dem 20. Par­teitag nicht in eine gegen­teilige Ent­wicklung umge­kehrt werden konnte. Die enorme Über­al­terung bewirkt eine rasch immer stärker abneh­mende Akti­ons­fä­higkeit. Daraus resul­tieren riesige Schwie­rigkeit, für junge Men­schen attraktiv zu sein.

Wenn wir die Wirk­samkeit dieser Fak­toren aus der ver­drängen und glauben, es hänge nur von unserem eigenen Willen und von einer grö­ßeren Ein­satz­be­reit­schaft der Mit­glieder ab, aß wir heute bei über­ört­lichen Wahlen bessere Ergeb­nisse erreichen, üben wir uns in Selbsttäuschung.

Das wird uns aus den Schwie­rig­keiten aber nicht herausbringen.

Nach meiner Meinung werden wir auch mit aller Anstrengung nicht in der Lage sein, die Wirk­samkeit der genannten objek­tiven Fak­toren in relativ kurzer Frist außer Kraft zu setzen. Woraus sich ergibt, dass wesentlich andere Wahl­er­geb­nisse als die jetzt erreichten bei über­re­gio­nalen Wahlen derzeit für uns objektiv nicht zu erreichen sind. Die poli­ti­schen Bedin­gungen dafür sind einfach nicht reif. Deshalb bleibt die Ori­en­tierung auf flä­chen­de­ckende Eigen­kan­di­da­turen bei über­ört­lichen Wahlen eine Ori­en­tierung, die an den gege­benen Rea­li­täten vor­beigeht und deshalb eine poli­tisch falsche Ori­en­tierung ist.

Bei Wahlen im lokalen Bereich kann das natürlich ganz anderes sein. Da können Bedin­gungen gegeben sein, die eine Eigen­kan­di­datur der DKP unter Umständen sinnvoll erscheinen lassen. Aber das kann nur jeweils vor Ort dis­ku­tiert und ent­schieden werden.

Die Wende kein kurzfristig erreichbares Ziel

Wir müssen meiner Meinung nach davon aus­gehen, dass selbst die Durch­setzung einer Wende zu demo­kra­ti­schem und sozialem Fort­schritt in Deutschland, also unseres nächst­lie­genden stra­te­gi­schen Etap­pen­ziels, bei den heute gege­benen Kräf­te­ver­hält­nissen ganz offen­sichtlich noch in ziemlich weiter Ferne liegt.

Natürlich kann es immer auch über­ra­schende Wen­dungen und Ereig­nisse geben, die den Ent­wick­lungs­prozess, vor allem die Ent­wicklung von Mas­sen­stim­mungen beschleu­nigen. Aber abzu­sehen ist das heute nicht.

Im Vor­der­grund der nächsten Jahre wird deshalb in erster Linie der Abwehr­kampf gegen die Offensive des Kapitals und die weitere Rechts­ent­wicklung stehen müssen. Die vor uns lie­gende unmit­telbar nächste Kampf­etappe wird von Abwehr­kämpfen und bes­ten­falls dem Kampf um relativ bescheidene Reformen im Rahmen des bestehenden kapi­ta­lis­ti­schen Systems gekenn­zeichnet sein, die aber dennoch eine kon­krete Ver­bes­serung der Lebens­ver­hält­nisse und Ein­griffs­mög­lich­keiten für die Men­schen bedeuten und die Kräfte für eine grund­le­gende poli­tische Wende for­mieren und zusam­men­führen helfen.

Wir sollten jedoch keine Angst haben, dass wir im Refor­mismus ver­sinken, wenn wir uns auf eine relativ lange Phase des Kampfes um solche Reformen im Rahmen des Kapi­ta­lismus ori­en­tieren. Das wird viel revo­lu­tionäre Geduld und einen langen Atem ver­langen. Aber Abkür­zungen sind meiner Ansicht nach nicht zu erkennen.

Was gehört in den Mittelpunkt des nächsten Parteitags?

Abwehr­kämpfe und Kampf um erste positive Reformen – das müsste meiner Meinung nach auch im Mit­tel­punkt der Dis­kussion zu unserem nächsten Par­teitag stehen.

Statt­dessen leisten wir uns aber mit dem Leit­antrag des PV zum 22. Par­teitag eine teil­weise sehr abs­trakt-theo­re­tisch ange­legte Dis­kussion um his­to­rische Ent­wick­lungs­etappen in der Geschichte des Impe­ria­lismus und ver­schiedene inter­na­tionale Ent­wick­lungen. Und eine abs­trakte, zum Teil schon gespens­tisch anmu­tende Dis­kussion, ob und inwiefern unsere Ori­en­tierung auf den Kampf um die Durch­setzung einer Wende mit einer «anti­mo­no­po­lis­ti­schen Stra­tegie» ver­einbar sei. Wie sonst sollte «anti­mo­no­po­lis­tische Stra­tegie» denn heute unter den gege­benen Rea­li­täten denn konkret aussehen?

Ich kann und will hier nicht detail­liert auf den Leit­antrag ein­gehen. Aber ich meine, dass er dem, was die Partei jetzt braucht, nicht wirklich gerecht wird.

Was darin nämlich weit­gehend fehlt, ist das, was für einen Par­tei­tags­be­schluss, der den Kurs der Partei bis zum nächsten Par­teitag skiz­zieren soll, eigentlich das Wich­tigste wäre. Nämlich die kon­krete Analyse der jetzt in Deutschland ent­stan­denen poli­ti­schen Situation, der bestehenden Kräf­te­ver­hält­nisse und ihrer Ent­wick­lungs­mög­lich­keiten. Und ebenso fehlt eine detail­lierte Unter­su­chung, welche Gegen­kräfte es heute zur Politik der Herr­schenden bereits gibt, welche kon­kreten Ziele und For­de­rungen diese Kräfte ver­treten und wie sie zusam­men­ge­führt, gestärkt und ver­größert werden könnten, um einer echten poli­ti­schen Wende näher zu kommen.

Das Wie­der­auf­geifen des Ziels der Wende im Leit­antrag des PV zum 22. Par­teitag – im Unter­schied zum Leit­antrag für den letzten Par­teitag, wo sie ja ganz aus den Über­le­gungen ver­schwunden war – kann insofern zwar viel­leicht als eine Wie­der­an­nä­herung der Ver­fasser an das Par­tei­pro­gramm von 2006 ange­sehen werden. Viel­leicht handelt es sich ja auch um den Aus­druck einer späten Aneignung der stra­te­gi­schen Ori­en­tierung des Par­tei­pro­gramms durch die­je­nigen, die 2006 dagegen gestimmt haben.

Aber dieses Wie­der­auf­greifen der Wende, also der stra­te­gi­schen Ori­en­tierung des gel­tenden Par­tei­pro­gramms, bleibt im Leit­antrag des PV leider auf halbem Wege stehen.

Denn das Par­tei­pro­gramm von 2006 ent­wi­ckelt nicht nur das Wende-Konzept als nächstes stra­te­gi­sches Ziel, sondern enthält auch detail­liertere Vor­stel­lungen dazu, wie die Kräfte für die Durch­setzung einer solchen Wende for­miert werden können. Daraus ergibt sich die Ori­en­tierung des Par­tei­pro­gramms auf ein breites Zusam­men­gehen mit Men­schen anderer welt­an­schau­licher und poli­ti­scher Ori­en­tie­rungen. Diese offene Her­an­ge­hens­weise an andere gesell­schaft­liche Kräfte im Abwehr­kampf gegen die Angriffe des Kapitals und die weitere Rechts­ent­wicklung ist im Leit­antrag weit­gehend Fehlanzeige.

Für das Suchen nach gemeinsamem Handeln trotz schwerer Differenzen

Unge­achtet dessen bin ich aber nach wie vor der Meinung, dass wir einen Weg finden müssen und könnten, um gemeinsam mit allen Kräften, die die DKP heute noch hat, in die aktuelle poli­tische Ent­wicklung ein­zu­greifen und den poli­ti­schen Anfor­de­rungen, die sich aus der heu­tigen Situation ergeben, gerecht zu werden.

Ich werbe dafür, dies in den Mit­tel­punkt des nächsten Par­teitags und unserer wei­teren Par­tei­tä­tigkeit zu stellen.

Denn ich bin nach wie vor davon über­zeugt, dass die Existenz und das Agieren einer kom­mu­nis­ti­schen Partei in Deutschland mit ihrer his­to­ri­schen Tra­dition, ihrem theo­re­ti­schen Fun­dament und ihren geschicht­lichen Erfah­rungen, konkret also der DKP, ein durch nichts anderes ersetz­bares Element für den Kampf um den Fort­schritt in diesem Land ist.

So ver­ständlich Gefühle des Frusts darüber sind, dass die amtie­rende Par­tei­führung sich als absolut starr und dia­log­un­fähig erweist und in wich­tigen Fragen anscheinend unum­kehrbar den Weg in Richtung links­ra­di­kalen Sek­ten­ver­haltens ein­ge­schlagen hat, glaube ich dennoch nicht, dass es eine Lösung der Pro­bleme sein oder bringen kann, jetzt aus der DKP aus­zu­treten. Was bringt das? Was wird damit gebessert? Es bedeutet in meinen Augen letzten Endes doch nur eine weitere Zer­split­terung und Ver­ein­zelung der wenigen noch vor­han­denen Kräfte., Das kann nur Stim­mungen der Resi­gnation bestärken, aber wohl kaum etwas zur Ver­än­derung der Situation in unserem Land in Richtung einer anderen Politik beitragen.

Die Partei besteht nicht nur aus der Haltung und den Taten der amtie­renden Par­tei­führung. Neben den vehe­menten Unter­stützern ihres Kurses und auf der anderen Seite den Betei­ligten am «Netzwerk» und den Unter­zeichnern des ent­spre­chenden «Offenen Briefes» gibt es meiner Ansicht nach viele Genos­sinnen und Genossen, die sich gern aus der Aus­ein­an­der­setzung «her­aus­halten» möchten und ihre Been­digung fordern, weil sie den Streit für unfruchtbar und für die kon­krete Arbeit der Partei vor Ort für hin­derlich halten. Deshalb glaube ich nicht, dass von den knapp drei­tausend Mit­gliedern, die die DKP noch hat, die Mehrheit wirklich den Weg in eine unfruchtbare links­ra­dikale Richtung antreten und einen von den Rea­li­täten abge­ho­benen falsch ver­stan­denen Avant­garde-Anspruch prak­ti­zieren will, der glaubt, der Arbei­ter­klasse per «Auf­klä­rungs­arbeit» das richtige Klas­sen­be­wusstsein bei­bringen zu können. Der Kurs­wechsel, der vor vier Jahren nach dem 20. Par­teitag in diese Richtung ein­ge­schlagen worden ist, wird auf Dauer nicht die anvi­sierten Ergeb­nisse bringen können. Das heißt, er wird, die Partei nicht aus der der­zei­tigen Frust­si­tuation her­aus­bringen und zu neuen Erfolgen führen, wenn dies ein Teil der Mit­glieder derzeit noch glaubt.

Aus meiner Sicht gibt es derzeit zu einer anhal­tenden Aus­ein­an­der­setzung um den rich­tigen Kurs der Partei und zu einem gleich­zei­tigen Bemühen, trotz der Dif­fe­renzen Mög­lich­keiten des aktu­ellen gemein­samen Ein­greifens in die heutige Politik zu suchen und zu finden, keine brauchbare und wir­kungs­volle Alternative.

Text: Georg Polikeit
Foto: UZ